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Forschungskonzept

Das Virtual Humanities Lab (VHL) ist ein medienwissenschaftliches Laboratorium zur Erforschung der Medien, Techniken und Phänomene der Virtualität. In diesem Collaboratory wird nicht nur die Frage gestellt, was man mit Virtualität machen kann, sondern auch, wie sie gemacht wird und was sie mit der Welt macht. Das VHL zielt sowohl auf konzeptuelle Framings als auch auf das Austesten dieser Begriffe im experimentellen Umgang mit Technologien zur Herstellung virtueller Räume, Modelle und Welten durch learning-by-doing, begleitet durch theoriegestützte Reflektion. Das VHL produziert nicht nur eine Art des Wissens, sondern eine Form der Aktivität. Virtualität ist dabei Objekt und Medium der Forschung zugleich.

Als interaktive Forschungsumgebung bietet das VHL Forschenden wie Studierenden aller Fachbereiche die Möglichkeit, entsprechende Geräte für Projekte und für die Lehre zu nutzen, sich zu vernetzen und Versuche durchzuführen. Es ist ein Freiraum für Workshops zu entsprechenden Fragestellungen, aber auch ein Hub für die individuelle Forschung am Material. In regelmäßig stattfindenden Workshops werden – im Idealfall im Zusammenhang mit Lehrveranstaltungen – externe Gäste für vierstündige Workshops eingeladen, die aus einem Vortrags- und Diskussionsteil sowie einem Experimentierteil bestehen. Darüber hinaus organisiert das VHL regelmäßig Tagungen und steht insbesondere für studentische Projekte zur Verfügung. Das VHL geht von der Prämisse aus, dass die Untersuchung emergenter Technologien offene Denkräume ebenso benötigt, wie die enge Auseinandersetzung mit dem Material und ist daher sowohl ein Veranstaltungsort als auch ein Experimentalraum, in dem neue Geräte ausprobiert, auseinandergenommen und neu zusammengesetzt werden können. Es stellt eine Infrastruktur bereit, die Praxisorientierung mit medienwissenschaftlicher Grundlagenforschung verbindet und etabliert so einen Denk- und Experimentierraum für kritische, aber auch materialorientierte Explorationen von Virtualität.

Forschungsschwerpunkte

Der theoretische Ausgangspunkt der Arbeit am VHL ist eine breite Definition von Virtualität. Deren Erscheinungsformen werden als Modi der Aktualisierung des Möglichen ebenso wie des Wahrscheinlichen untersucht. Wir stellen Virtualität und Realität nicht als Opposition gegenüber, sondern nehmen ihre Verschränkungen in den Blick. Dabei stehen die Medien im Mittelpunkt, die es erlauben, zwischen Welt und Virtualität zu übersetzen.

Der Fokus der Forschung am VHL liegt auf den medialen Übersetzungsprozessen, die Aspekte der Wirklichkeit virtualisieren, d.h. durch Filterung, Modellierung und Simulation ebenso mögliche wie wahrscheinliche Welten erschaffen, die dieser Wirklichkeit auf spezifische Weise entsprechen – etwa in der Form sogenannter worldmodels für autonome Technologien wie Drohnen, Autos und Roboter, der Erfassung räumlicher Relationen für die Einbettung von Augmented Reality-Anwendungen auf Smartphones oder die Herstellung von Vorlagen für den 3D-Druck. Insbesondere interessiert das VHL, wie Technologien der Virtualität auf Forschungs-, Lehr- und Lernprozesse wirken.

Das VHL ist der Forschungsraum der Professur für Virtual Humanities. Virtual Humanities erfassen die Welt stets in der Mehrzahl ihrer Möglichkeiten und wissen im Status des Als-Ob. Sie untersuchen die medialen Übersetzungsprozesse, die Virtualität zugrunde liegen. Virtual Humanities stellen Fragen nach künstlichen Welten, die nicht vor deren Künstlichkeit stehenbleiben, sondern die Gemachtheit ihrer Vielfalt in den Blick nehmen. Sie erforschen die Aktualisierung des Potentiellen, verstehen dieses aber nicht als Schwundstufe des Aktuellen, sondern als dessen Möglichkeitsraum. Die Virtual Humanities verschränken medienarchäologisches bzw. technikgenealogisches Vorgehen mit experimenteller, spekulativer Bastelei, um neue Wege aufzuzeigen, wie man zugleich konzeptuell fundiert und nah am Gegenstand medienwissenschaftlich forschen kann.

Im Gegensatz zu den Digital Humanities wollen sie weder die Welt und ihre Fiktionen noch das Wissen von ihr durch Daten aus ihr berechnen. Vielmehr problematisieren sie die Annahme einer Übersetzbarkeit von Welt oder Wissen in Daten, indem sie die Prozesse, Medien und Materialisierungen des Virtuellen in den Blick nehmen. Sie fassen Welt und Wissen stets im Plural: Für Virtual Humanities gibt es Welt nur in der Mehrzahl und Wissen nur im Modus des Als-Ob, selbst wenn es aktuell wird. Während die Digital Humanities also aus der Analyse von Big Data mehr oder weniger emergente Phänomene durch Korrelationen extrahieren und damit Fragen zu stellen vermögen, die ohne Datenanalyse nicht formulierbar wären, nehmen Virtual Humanities die Möglichkeit ihrer Wahrscheinlichkeit – und damit auch ihrer Unwahrscheinlichkeit – in den Blick.

Deshalb sind Virtual Humanities keine Disziplin, keine Schule und keine Strömung, sondern eine Intervention auf der Ebene der Theorien und Methoden, mit denen wir über Virtualität – und über Digitalität – sprechen. Interventionen brauchen Orte, und das VHL soll ein solcher Ort sein.

In technischer Ausstattung, Bibliothek und Archiv setzt das VHL derzeit drei Schwerpunkte:

  1. Virtual Reality und Augmented Reality
    Als bekannteste Anwendungen von Virtualität fokussiert das VHL Virtual Reality- sowie Augmented Reality-Technologien. Im konkreten Umgang mit den anzuschaffenden Geräten soll erforscht werden, wie diese in die Wirklichkeit eingebettet sind und mit dieser – mitunter unbemerkt von den User:innen – interagieren, um Virtualität zu erzeugen (etwa durch die Erfassung der Umgebung und die Erzeugung von worldmodels, mit deren Hilfe eine AR-Anwendung sich selbst im Raum lokalisieren kann). VR wird dabei in der ganzen Bandbreite möglicher Anwendungen erfasst: von Spielen über Ausstellungs- und Kunstprojekte bis hin zu virtuellen Arbeits- und Forschungsumgebungen.
    Für diesen Zweck werden unterschiedliche Modelle von VR-Brillen sowie entsprechende Gundausstattung angeschafft und fortlaufend ergänzt. Insbesondere wird ein Fokus auf frühe VR-Technologien und ihre medienarchäologische Untersuchung gelegt.

  2. Sensoren und Algorithmen
    Versteht man Virtualität nicht als Opposition zum Realen, sondern als Aktualisierung des Potentiellen und Probabilistischen, stellt sich die Frage nach der Übersetzung der Welt in Virtualität. Sensoren sind die Medien dieser Übersetzung. Als CMOS- oder CCD-Bildsensoren, Laser oder Lidar, Mikrophone, aber auch als einfache Lichtdioden verwandeln sie das sensorisch registrierte Wellenspektrum der Welt in Daten, die speicherbar und übertragbar sind. Ihnen nachgeschaltet sind bei komplexen Anwendungen Filteralgorithmen, die die gesammelten Daten strukturieren. Im VHL können solche Sensoren ausprobiert und experimentell untersucht werden, um herauszufinden, wie sie die Welt verwandeln. Dabei setzt das Lab insbesondere auf medienarchäologische Verfahren und das reverse-engineering, indem vorhandene, mit Sensoren ausgestattete Geräte auseinandergenommen werden.

  3. 3D-Druck
    3D-Drucker erlauben die synthetische Herstellung von vorab virtualisierten Objekten. Im VHL werden die Übersetzungsprozesse untersucht, die im Computer virtuelle Vorlagen erzeugen, die dann in Druckprozess realisiert werden.